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Technik entwerfen

Wie geht es dir in der heraufdämmernden Datengesellschaft?

Um sich nicht zu verirren, braucht man Anhaltspunkte. Jahrtausende lang dienten dafür die Sterne. Mit Instrumenten wurden aus ihren Stellungen am Himmel Zahlen. In Beziehungen gebracht sind diese Zahlen Koordinaten. Datenzahlen sind Modelle der von der Welt gegebenen Anhaltspunkte, nach denen man steuern kann.
Nackte Zahlen sind ein Rätsel. Ihre Bedeutung hängt vom Kontext der Betrachtung ab. Einzelne Gegebenheiten werden in wiederkehrenden Rechenoperationen zusammengesetzt. Zusammengefügte Daten ergeben ein Modell von der Welt – wie sie jetzt ist. Oder in Zukunft sein soll, wenn wir richtig navigieren
Heute sind wir mitten in der vierten industriellen Revolution. Der Kreislauf Welt – Daten – Welt hat alle Lebensbereiche erfasst. Die Technik der Daten erlaubt die Berechnung jeder vorstellbaren Möglichkeit. Nun entwerfen wir Technik, um unsere Modelle ohne Umwege zu materialisieren.

Was meinst du, wie soll die Welt nun sein? Welche Möglichkeiten willst du verwirklichen?

Big Data und handfeste Zahlen

Datenstaub in den Galaxien

Navigieren nach den Sternen, mit oder ohne Sextant? Diese Frage könnte heute zum analogen Hobby verleiten, verfügen wir doch über Satellitennavigation und diverse kleine Helfer, die unseren Standort präzise bestimmen. Wer es oldschool will, sollte jedoch außerdem einen fähigen Uhrmacher in seiner Nähe haben. Denn die analoge Bestimmung der Längengrade ist ohne eine genaue Zeitangabe bei Weitem nicht so leicht wie das Messen der Breitengrade. Der Blick in den Himmel hat so seine Tücken. Es dauerte bis ins 19. Jahrhundert, als mechanische Uhren endlich auf einem technischen Niveau waren, dass sie nicht nur sekundengenau, sondern auch noch hinreichend wind- und wetterfest waren.

Feinwerk hat gesiegt! Nur Feinwerk? Sonne, Mond und Sterne, Planeten und alles andere, was sich so im Beziehungsnetz der Gestirne findet, hat uns Menschen schon viel länger inspiriert. Der Satz des Pythagoras geht auf den gleichnamigen antiken Philosophen zurück. Er war es auch, der nicht nur gleichschenkelige Dreiecke regulierte, sondern gleich den ganzen Kosmos mit all seinen Himmelskörpern in Zahlenverhältnisse aufgelöst hat. Eine Idee war geboren, wie sie aktueller nicht sein könnte: Das Weltall, Raum und Zeit – all das lässt sich in mathematischen Verhältnissen beschreiben.

Was Pythagoras noch als Beziehungen ganzer Zahlen dachte, das haben wir mittlerweile in Datenatome zerlegt. Wurde der alte Grieche damit überwunden? Nein. Es war kein Geringerer als Gottfried Wilhelm Leibniz, der sich Ende des 17. Jahrhunderts den Binärcode aus 0 und 1 ausdachte, auf dem auch heute noch jede Maschinensprache beruht. Die ganzen Zahlen wurden mitnichten verdrängt, sie bringen den Kosmos in unsere Computer. Pythagoras als Rockstar im Datenfeld. Berechnungen, Kalküle, Messwerte und Statistiken umgibt eine skurrile Aura der Objektivität. Zahlen lügen nicht, sie bilden ab, was ist und wie es ist.

Big Data ist ein Sammelbegriff für verschiedene Analyse-Systeme unserer Zeit. Gemeinsam ist ihnen das Strukturieren ungeheurer Datenmengen, um darin Muster aufzudecken, die uns Menschen sonst nicht so einfach ersichtlich wären. Wie Uhren im 19. Jahren präzisieren sie durch strikte Taktung den menschlichen Blick auf die Dinge. Big Data ist auch eine Antwort auf das pythagoreisch-leibnizsche Schlamassel unserer Zeit: Die Auflösung des Kosmos in Ketten aus 0 und 1 schafft mehr Unklarheiten als Klarheiten. So ist das Ringen um eine gehaltvolle Verwaltung, quasi die Bürokratie ganzer Zahlen, zur Hauptaufgabe aktueller Computertechnik geworden. Doch wie lassen sich die überfüllten Schubläden virtueller Aktenschränke nicht nur irgendwie ordnen, sondern auch mit inhaltlicher Bedeutung ausstatten? Was gibt es für uns Menschen überhaupt noch in den Sternen zu entdecken, wenn wir ihren Datenstaub bloß im digitalen Sandkasten durch die smarten Förmchen der Big-Data-Analysen pressen? Droht ein Ende der Theorie – wie aktuell kontrovers diskutiert wird? Oder hat die Theorie, wie Vilém Flusser sagen würde, gerade erst begonnen?