Ruth Wodak, Foto: Katherina Gossow

Graz Museum Sackstraße | Di., 11.11.2025 | 18 Uhr Vortrag

Demagogie und Desinformation

Vortrag von Ruth Wodak

Diskursanalytische Überlegungen zur Gefährdung liberaler Demokratien

Zurzeit mehren sich warnende Stimmen in der Öffentlichkeit in Bezug auf vehemente Bedrohungen unserer liberalen Demokratien durch rechtspopulistische bzw. rechtsradikale Parteien (RPP): Denn solche Parteien fahren in den letzten Jahren europaweit – und auch darüber hinaus – hohe Gewinne ein, stehen in manchen Ländern in Meinungsumfragen an erster Stelle.
Die Attraktivität von RPP scheint von zwei Faktoren abzuhängen: Einerseits sind sie in der Lage, Ressentiments und Protest zu mobilisieren; andererseits versprechen sie eine Art radikalen Wandel zur Lösung der Probleme, die sich aus der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Transformation der postindustriellen westeuropäischen Gesellschaften und Volkswirtschaften ergeben. Die konkrete Politik des radikalen Wandels wird jedoch selten spezifiziert; sie besteht eher in vagen Versprechungen, zu einem Status quo ante zurückzukehren, einer Retrotopie.

Wir sind also mit einer Polarisierung konfrontiert, von entgegengesetzten Narrativen und Diskurswelten, Tendenzen einer Diskursverschiebung. D.h. Themen, Argumente, Slogans und Rhetorik wie Performance (also geschriebene, gesprochene und visuelle Texte über bestimmte Themen) von RPP werden zunehmend akzeptabel und von – meist konservativen – Mainstream-Parteien übernommen.
Die strategische Ablehnung demokratischer Routinen, garantierter verfassungsmäßiger Rechte (wie der Meinungs- und Pressefreiheit oder der Unabhängigkeit der Justiz) sowie vereinbarter Geschäftsordnungen (etwa im Parlament), von Gesprächsmaximen und Höflichkeitskonventionen erfüllt mehrere Funktionen. Dies bezeichne ich als „schamlose Normalisierung“.

Sie soll:
1.) liberale demokratische Institutionen und garantierte Verfassungs- und Menschenrechte – Schritt für Schritt – untergraben;
2.) die Medien durch kontinuierliche Provokation und das Überschreiten von Tabus dominieren;
3.) getrennte und parallele Diskurswelten durch Desinformation schaffen;
4.) Menschen Identifikation und Anerkennung bieten, die sich von den sogenannten Eliten ungerecht behandelt, nicht angehört und aufgrund gesellschaftlicher Konventionen der politischen Korrektheit diskriminiert fühlen.
Ähnliche Muster der Skandalisierung und des Verfalls demokratischer Prozesse lassen sich schon in der italienischen Politik der 1990er-Jahre unter der Regierung Berlusconi identifizieren.

Ruth Wodak ist eine international bekannte Sprachsoziologin. Sie untersucht u.a. politische Rhetorik, zuletzt v.a. die Argumentation rechtspopulistischer Politik in Europa und den USA. Ihre Forschungsinteressen umfassen politische und Medienkommunikation, Vorurteilsforschung, Identitäts- und Geschlechterpolitik. Die von ihr mit entwickelte Kritische Diskursforschung beleuchtet u.a. die für Machtverhältnisse charakteristische Einteilung von Menschen in „wir“ und „sie“, die oft mit „gut“ und „schlecht“ einhergeht.

Wodak lehrte als Distinguished Professor für Diskursforschung an der Lancaster University und an der Universität Wien, dazu zahlreiche renommierte internationale Gastprofessuren. Sie wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Wittgensteinpreis für Spitzenforscher 1996, dem Großen Silbernen Ehrenzeichen der Republik Österreich 2011, dem „Lebenswerk-Preis“ des Frauenministeriums 2018 oder dem Bruno-Kreisky-Preis 2021. Sie ist Mitglied der British Academy of Social Sciences und der Academia Europaea sowie Ehrensenatorin der Universität Wien, außerdem Ehrendoktorin der Universitäten Warwick und Örebro.

Zahlreiche in viele Sprachen übersetzte Publikationen, zuletzt u.a.: Das kann immer noch in Wien passieren. Alltagsgeschichten, Wien 2024; Die Politik mit der Angst: Die schamlose Normalisierung rechtspopulistischer und rechtsextremer Diskurse. Berlin 22020; Österreichische Identitäten im Wandel (mit Rudolf de Cillia, Markus Rheindorf & Sabine Lehner, Wiesbaden 2020; Kinder der Rückkehr: Geschichte einer marginalisierten Jugend. Berlin (mit Ernst Berger), Berlin 2018.

Davor um 17 Uhr findet eine Führung durch die Ausstellung Demokratie, heast! statt.